Datum / Ort I

17 Dezember 2023 Gare du Nord, Basel

Datum / Ort II

18 Dezember 2023 Gare du Nord, Basel

Serie

Phoenix

Titel

Phœnix Trabant 2022/2023

Programm

Edgar Varèse (1883–1965) «Octandre» für 8 Instrumente (1923) – 8’ Thomas Bruttger (*1954) «Monolith» für 8 Instrumente (1991) – 9’ Asia Ahmetjanova (*1992) «Ich möchte aufhören zu singen» für Piccolo und 7 Instrumente (2023, UA, Auftrag EPhB) – 10’ Francesca Gaza (*1995) «ruhe zur lautesten stunde» für 8 Instrumente (2023, UA, Auftrag EPhB) – 12’ Tze Yeung Ho (*1992) «hortensia» für 8 Instrumente (2023, UA, Auftrag EPhB) – 20’

Musiker:innen

Jürg Henneberger
Musikalische Leitung
Christoph Bösch
Flöte, Piccolo, Bassflöte
Antje Thierbach
Oboe, Bariton-Oboe
Toshiko Sakakibara
Klarinette, Es-Klarinette, Bassklarinette
Lucas Rößner
Fagott, Kontraforte
Aurélien Tschopp
Horn
Nenad Marković
Trompete
Michael Büttler
Posaune, Bassposaune
Aleksander Gabryś
Kontrabass

Programm­beschrieb

Abschlusskonzert des Kompositions-Wettbewerbs «Phœnix Trabant 2022/2023»


Edgar Varèse hat mit «Octandre» ein epochemachendes Werk für eine grosse Kammermusikbesetzung geschrieben und zugleich eine neue Gattung gegründet: Vier Holz- und drei Blechbläser werden durch einen Kontrabass zum Oktett ergänzt – mit gänzlichem Verzicht auf Tasteninstrumente, Schlagzeug und hohe Streicher. In unserem Nachwuchsförderungs-Wettbewerb «Trabant» haben wir die Aufgabe gestellt, ein neues Werk in dieser Besetzung zu komponieren, das in irgendeiner Weise Bezug auf «Octandre» nimmt und dieses Werk wie ein Trabant umkreist. Die drei Preisträger:innen werden als Abschluss dieses Workshops mit dem Ensemble Phoenix Basel und Detlev Müller-Siemens (im Oktober mit Johannes Schöllhorn für den erkrankten Detlev Müller-Siemens) als Kompositionscoach ihre neuen «Trabant»-Kompositionen zusammen mit «Octandre» von Edgar Varèse präsentieren.
Das Werk «Monolith» des deutschen Komponisten Thomas Bruttger wurde 1991 vom «Ensemble Aventure» (Freiburg i. Br.) in Auftrag gegeben.

 

Edgar Varèse: «Octandre»

«Octandre» wurde für acht Instrumente (sieben Blasinstrumente und einen Kontrabass) geschrieben und ist im gleichen Jahr wie Igor Strawinskys Oktett entstanden. Zusammen mit «Density 21,5» ist es das einzige Werk Varèses, das ohne Schlagzeug auskommt. Es ist auch das einzige, das in aneinandergereihte Sätze unterteilt ist. Dennoch ist es typisch für den Stil und die Technik des Komponisten, der sich bewusst ausserhalb der Tradition bewegte, ein erbitterter Feind der Entwicklung war und für den die Klangfarbe, der wichtigste Parameter der Komposition, als Strukturelement galt. «Was von Anfang an auffällt», schreibt Arthur Hoérée, «ist die aussergewöhnliche Instrumentierung, die der Komposition zugrunde liegt. Die Flöte steigt zum Cis 4, die Oboe zum G 3 und das Fagott zum C 2, die Posaune bewegt sich in den mittleren Regionen der Trompete. Die Flatterzunge (Zungenrollen, das einen vibrierenden Ton erzeugt) wird regelmässig verwendet.» Jeder der Sätze von «Octandre» wird mit einem Instrumentalsolo eröffnet, das beweist, dass die melodische Linie dennoch nicht unwichtig ist. Der erste Satz (Assez lent) beginnt und endet mit einem Oboensolo, das in der Einleitung von der Klarinette und dem Kontrabass unterstützt wird. Der zweite Satz (Sehr lebhaft und nervös) wird durch ein Solo der Piccoloflöte in tiefer Lage (!) eingeleitet. Er geht in den dritten Satz (Grave) über, indem ein hoher Ton des Kontrabasses gehalten wird, worauf ein Eröffnungssolo des Fagotts folgt, das einer «lebhaften und jubilierenden» Fugatopassage mit aufeinanderfolgenden Einsätzen des Fagotts und der Klarinette – die Oboe imitierend – vorausgeht.

(Myriam Chimènes)

 

Thomas Bruttger: «Monolith»

Der Titel ist nicht nur in freier Assoziation zu einigen Partien in meinem Stück aufzufassen, sondern durchaus auch im Sinne der strukturellen Verarbeitung als «wie  aus einem Block gemeisselt» zu verstehen. Ausgangspunkt der Komposition ist ein aus drei Schichten zusammengesetzter statisch-repetitiver «Zentralklang», der im weiteren Verlauf des Stückes eine Vielzahl prismatischer  Brechungen in kleinere Einzelklänge bis hin zur völligen Auflösung der blockhaft-vertikalen Ereignisse in sukzessiv-horizontale Einzelpartikel erfährt. Das Stück entfaltet sich in acht Grossabschnitten, denen in ihrer Blockartigkeit ein Habitus des Unbeweglichen anhaftet, und so erscheint die musikalische Form als ständiger Wechsel verschiedener Aggregatzustände, chemischen Gärungsprozessen ähnlich, mit unterschiedlich starken Dichtegraden. Dagegen steht ein dynamisch-prozesshaftes Verknüpfungsprinzip, dergestalt, dass von Abschnitt zu Abschnitt die Erfahrungen der jeweils vorangegangenen Formteile aufgenommen werden um diese kontinuierlich oder diskontinuierlich weiterzuentwickeln.
Das Stück lernt gewissermassen von sich selber, um sich selbst ständig neu zu generieren.

(Thomas Bruttger)

 

3 Preisträger:innen des «Trabant»-Workshops 2023:

1. Preis:

Asia Ahmetjanova: «Ich möchte aufhören zu singen»

Das Stück «Ich möchte aufhören zu singen» mit dem vollen Titel «Ich möchte aufhören zu singen, damit mein Lied von den anderen übernommen wird» erzählt von der Reise durch das Leben eines Individuums.
Christoph Bösch – Piccoloflöte – repräsentiert die Hauptperson, die verschiedene Lebensphasen durchwandert und ihre Rolle in jedem Lebensabschnitt neu erlebt. Die Prioritäten ändern sich durch unterschiedliche Begegnungen. Imitations- und Anpassungsfähigkeit formen die Entscheidungen und die Art der Aktivitäten. Die eigene Stimme ähnelt vielem, ausser sich selbst.
Ist es unvermeidbar, das Bedürfnis zu haben, ein Teil des Ganzen zu werden?
Was passiert mit der Welt des Individuums, wenn es die Verantwortung radikal auf sich nimmt?
Entscheidende Wiederholungen.
Manchmal ist die stille Stimme die authentischste.
Es geht weiter, alles beginnt von vorne, aber in einer anderen Tonart – wir sind eine kleine Terz runtergerutscht.

(Asia Ahmetjanova)

 

2. Preis, ex aequo:

Francesca Gaza: «ruhe zur lautesten stunde»

«ruhe zur lautesten stunde» wurde von einer Szenerie inspiriert, die ich vor einigen Monaten in der Negev-Wüste wahrnahm. Von einem erhöhten Aussichtspunkt aus blickte ich auf Ruhe, Stille und grosse Leere herab, aber als ich sie betrat, stellte ich fest, dass sie voller bunter, summender Insekten und Geräusche war, die die scheinbare Leere und Stille laut und explosiv aufleben liessen. Diese Kontraste von lauter Stille, und gefüllter Ruhe inspirierten das Werk massgeblich. Farbe und Färbung, ist das Zentralelement, was als Trabant zu Varèse «Octandre» fungierte.

(Francesca Gaza)

 

Tze Yeung Ho: «hortensia»

«hortensia» arbeitet mit metaphorisch umgedrehten Motivfragmenten, die aus Edgar Varèses «Octandre» entliehen sind. Die verschiedenen Fragmente werden in acht kurze Abschnitte zusammengefügt, die durch Tempowechsel in drei Sätzen gekennzeichnet sind. Die acht kurzen Abschnitte stammen aus dem «H-Kapitel» oder dem achten Abschnitt des «Alfabet» der dänischen Dichterin Inger Christensen. Die acht ausgewählten Wörter, die der norwegischen Übersetzung des Buches entnommen sind, lauten wie folgt: «hage» (Garten), «hymne» (Hymne), «halvmåne» (Halbmond), «halvsilke» (Halbseide), «helle» (Stopp, wie in Türstopper), «husly» (Schutz), «hagl» (Hagel) und «hortensia» (Hortensie). Die acht Wörter dienten als Inspiration für die Anordnung und Behandlung der musikalischen Fragmente in den verschiedenen Tempobezeichnungen aus «Octandre». Dieses Werk ist parasitärer Natur. Es soll zusammen mit dem zwischen die drei Sätze dieser Komposition eingeschobenen Originalwerk von Varèse aufgeführt werden.

(Tze Yeung Ho)